Akademisierung der Pflege – trotz oder wegen Fachkräftemangel?
Die Pflege ist ein klassischer Ausbildungsberuf. Seit Jahren leidet dieser Sektor unter chronischem Fachkräftemangel - und gerade jetzt soll die Akademisierung der Pflege kommen. Treibt dies nicht den Mangel noch weiter voran? Oder kann die Maßnahme den medizinischen Bereich vielleicht sogar attraktiver machen?
Pflegestudium oder Ausbildung zur Pflegekraft?
Seit 2020 gibt es in Deutschland die sogenannte generalistische Pflegeausbildung. Das bedeutet, dass Du zunächst eine Grundausbildung absolvierst und Dich erst in Deinem dritten Ausbildungsjahr spezialisierst. Entscheidest Du Dich für ein Pflegestudium, kannst Du aus über 140 Studiengängen wählen - diesen Weg gehen aber nach wie vor die wenigsten Pflegekräfte. Die Quote von studierten Pflegerinnen und Pflegern liegt im ambulanten Pflegedienst bei 0,34 Prozent; in Pflegeheimen beträgt sie 0,45 Prozent.
Das im Jahr 2020 in Kraft getretene Pflegeberufegesetz ebnet den Weg für eine Kombination aus akademischer Theorie und einer praktischen Ausbildung. Das Studium wird mit einem Bachelor oder einer staatlichen Prüfung abgeschlossen, nach der sich die Absolventen als Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann bezeichnen dürfen. Die Bundesregierung möchte damit nach der “Konzentrierten Aktion Pflege” den Pflegesektor stärken und neue Studienplätze schaffen. Diese Maßnahme zeigte bisher allerdings nur mäßige Erfolge – gerade einmal die Hälfte der zur Verfügung stehenden Studienplätze wurde besetzt.
Welchen Sinn hat die Akademisierung der Pflege?
Während Pflegekräfte in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Schweden längst einen Hochschulabschluss benötigen, hinkt Deutschland hinterher. Hierzulande wurden die ersten Studiengänge für Pflegekräfte erst in den 90ern eingeführt und konnten sich seitdem nur schwerlich etablieren.
Da immer mehr Menschen immer älter werden und der Pflegesektor ohnehin schon unter einem Mangel an Arbeitskräften leidet, werden qualifizierte Pflegekräfte aber händeringend benötigt. Zudem wird der Arbeitsalltag komplexer und vielseitiger, weshalb eine umfassende theoretische und praktische Ausbildung sowohl der Pflegekraft selbst, als auch der Einrichtung zugutekommt. Die Forschung entwickelt sich ständig weiter und Krankheiten können einfacher und effektiver denn je behandelt werden. Hierfür ist ein tiefgehendes Verständnis der dahinterstehenden Wissenschaft notwendig.
Absolvieren Pflegekräfte ein Studium mit theoretischen und praktischen Schwerpunkten, können sie auch fordernde Situationen in ihrem Arbeitsalltag einfacher meistern und empfinden ihren Job eher als erfüllend. Hinzu kommt, dass ein Studium zu einer eigenständigen Arbeitsweise anregt und das Vertrauen in die eigene Leistung stärkt.
Kann die Akademisierung der Pflege das Berufsfeld attraktiver machen?
Immer mehr junge Menschen machen Abitur. Danach streben sie einen akademischen Abschluss an, der ihnen den Weg in ein Berufsfeld ihrer Wahl ebnet. Die Akademisierung der Pflege ermöglicht Menschen mit und ohne Abitur die Arbeit im Pflegesektor und lässt eine weitergehende Differenzierung anhand von Qualifikationen zu. So können Einrichtungen Pflegekräfte genau dort einsetzen, wo ihr Wissensstand und ihre Talente gebraucht werden.
Die Akademisierung der Pflege eröffnet damit neue Karrierechancen und wertet den Pflegeberuf auf. Wer zum Beispiel seine akademische Ausbildung zur Advanced Practice Nurse abschließt, darf breitgefächerte medizinische Aufgaben übernehmen und fungiert so als eine Art Zwitter zwischen einer Pflegekraft und einem Arzt. Damit gehen höhere Verdienstmöglichkeiten und eine größere Verantwortung einher.
Verbesserte Gehaltschancen reichen aber nicht aus, um die Arbeit als Pflegekraft attraktiver zu gestalten und junge Arbeitskräfte anzuziehen. Stattdessen ist eine Umgestaltung des Pflegesektors insgesamt längst überfällig. Auch studierte Pflegekräfte erwarten neben höheren Gehältern bessere Arbeitsbedingungen und eine ausgewogene Work-Life-Balance. Gerade letztere lässt zurzeit aber noch zu wünschen übrig, weshalb sich viele junge Menschen mit oder ohne Abitur für andere attraktive Berufsfelder entscheiden.